Einleitung
Als ich mit dem Tango Argentino anfing, gefiel mir der Spaß dabei aber auch die Möglichkeit in den jetzigen Moment tief eintauchen zu können und die Chance, sich damit in der eigenen Bewusstheit weiter zu entwickeln, sowohl tänzerisch als auch als Mensch. Ich sah den Tango als Spiegel meines Selbst und als Spiegel meines/r Tanzpartner*in.
Ich sehe mich selbst als ehrgeizig, wenn ich mich einmal für etwas Entscheide, dann will ich es in allen Fassetten erfahren und erforschen. Beim Tango hat mein Ehrgeiz Feuer gefangen. Ich wollte den Tango verstehen und begreifen und ich wollte mich durch ihn auch in meiner Bewusstheit weiterentwickeln. Ich tanzte jeden Tag, übte bei jeder Gelegenheit, beschäftigte mich mit Gehirnforschung, Physikalischen Gesetzen und allem, was nur annähernd mit dem Tango zu tun haben kann. Der Tango wurde zu meinem Lebensinhalt.
Der Tango zeigt mir sofort, wo man sich seiner Selbst bewusst ist und wo nicht und er zeigt mir, wie leicht man sich dazu verleiten lässt, dem Gegenüber die Verantwortung zu übertragen. Er zeigt mir die Blinden Flecken meiner Tanzpartner*Innen und er macht mir das wunderbare Geschenk meine eigenen Blinden Flecken zu entdecken.
Blinde Flecken im Tango
Die Bezeichnung Blinder Fleck wird in der Sozialpsychologie verwendet und beschreibt die Teile des Selbst oder Ichs, die von einer Persönlichkeit nicht wahrgenommen werden. Der Blinde Fleck wird grafisch gerne im Johari Fenster* dargestellt, welches die bewussten und unbewussten Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale einer Person zu einem Selbst und deren Beziehung zu einer anderen Person oder Gruppe darstellen.
Dies sind meine bisher erlangten Erkenntnisse nach jahrelanger Eigenforschung auf diesem Gebiet:
Ich verwende gerne die Bezeichnung „Blinde Flecken“ im Tango Argentino, um Elemente von Fehlhaltungen in der Körperachse, der Spannung, im Hebel und deren Umsetzung sowie unbewusste innere Glaubenssätze und Gefühle zu beschreiben, die den gemeinsamen Tango negativ beeinflussen und deren Ursachen nicht erkannt werden.
Ich hatte immer großen inneren Widerstand Technikkurse zu besuchen. Jemandem etwas nachzutanzen ohne einerseits zu verstehen, wozu das gut sein soll, und es andererseits gar nicht so umsetzen zu können wie es sein sollte, hat mich sehr gestört. Außerdem war es mir auch nicht möglich, das zuerst allein Eingeübte dann mit einer/m Tanzpartner*in umzusetzen. Ich war ständig auf die Choreografie fixiert und war somit nicht fähig, es mit der richtigen Körperhaltung umzusetzen. Genau das hat mich animiert einen Weg zu finden, wie man das effektiver machen kann – und dieses selbst erarbeitete Wissen weiterzugeben ist auch mein Ziel in meinen Workshops und Einzelcoachings.
Achse- und Körperhaltung sind wichtig
Die Fehlhaltung zumindest einer Person im Tango Argentino wirkt sich sofort negativ auf den gemeinsamen Tanz aus, wenn der/die Tanzpartner*in darauf unwillkürlich reagiert. Wir passen uns an unsere Tanzpartner*innen an und reagieren kompensatorisch, anstatt in unserer eigenen Achse/Präsenz und Körperspannung zu bleiben bzw. sofort dorthin zurück zu gelangen.
Wenn der/die Tanzpartner*in bei einer Fehlhaltung und somit Fehlführung/Fehlfolgen nicht in der eigenen Achse/Präsenz bleibt bzw. nicht sofort versucht wieder dort hinzugelangen, reagiert auch diese/r mit einem Kompensationsverhalten, worauf auch wiederum das Gegenüber mit erneutem Kompensationsverhalten antwortet.
Ein negativer Kreislauf startet und das Bewertungssystem setzt ein. Somit beurteilen sich beide gegenseitig (insgeheim oder offen) als schlechte Tänzer*Innen oder der/die ist so gut und ich bin so schlecht.
Wenn beide Personen unbewusst damit umgehen, merken sie zwar, dass das getanzte Element nicht stimmig ist, sind aber trotzdem nicht fähig, aus der Kompensationsreaktion auszusteigen. Da die Mitverursachung bei sich selbst oft nicht bewusst wahrgenommen wird, gibt man meistens dem Gegenüber die Schuld dafür (beide gleichzeitig sehen das Gegenüber als Verursacher an). Die Schuldzuweisung an das Gegenüber entfällt nur dann, wenn sich eine Person selbst als weniger Wert einschätzt als sein Gegenüber (man stuft sich selbst als schlechter in seinen Tanzfähigkeiten als das Gegenüber ein). In diesem Fall übernimmt die Person sogar die Verantwortung (entschuldigt sich, wird unsicher, reagiert überschnell oder zu spät, zieht die Schultern hoch, der Körper wird zu weich oder spannt zu viel an), allerdings ohne zu wissen, woran es tatsächlich gelegen ist. Die eigene Fehlhaltung/Fehlreaktion, der Blinde Fleck, wird nicht erkannt und somit auch nicht aufgelöst.
Ist man sich der Ursache allerdings schon bewusst, entfällt jegliche Schuldzuweisung und man konzentriert sich mit der Aufmerksamkeit auf sich selbst. Es ist nicht wichtig, wer es verursacht hat. Wir selbst können es jederzeit wieder ändern, wenn wir uns bewusst dafür entscheiden und wissen wie es geht.
Die Fehlhaltung einer Person beeinflusst beide Achsen sofort und es kann keine harmonische Tanzbewegung/richtiges Führen oder Folgen mittels Anpassung an das Gegenüber mehr ausgeführt werden, bis zumindest eine der beiden beteiligten Personen aus dem Kompensationsverhalten wieder bewusst aussteigt.
Im Grunde passiert dieses Phänomen eigentlich mehrmals während eines Tanzes bei beiden Tanzpartner*innen, unabhängig davon wie der jeweilige Tanzlevel ist. Der Unterschied zwischen Anfänger*nnen/Intermediate Tänzer*nnen und Advanced Tänzer*nnen ist nur der, dass je intensiver man sich mit dieser Thematik auseinandersetzt, desto öfter kann man bewusst mit absoluter Präsenz darauf sofort reagieren. Erstens achtet man schon im Vorhinein darauf, dass die eigene Achse bleibt, egal was kommt (wir schützen unsere Achse durch Einsatz von Körperspannung und Haltung). Zweitens korrigiert man sich selbst, anstatt die Verantwortung auf das Gegenüber zu geben. (wenn wir die Verantwortung auf unser Gegenüber abgeben, dann passen wir uns an, obwohl es nicht stimmig für uns ist – wir kompensieren oder wir versuchen die andere Person zu korrigieren oder ihr zu „helfen“). Drittens hat man dieses Ritual (zurück in die eigene Achse und Körperspannung) schon so oft eingeübt und wiederholt, dass es nicht nur zu einer willkürlichen Handlung wird, sondern der Körper dies schon automatisiert hat und somit auch schon unwillkürlich diese Rituale abspielt.
Fazit:
Erfahrene Tänzer*Innen haben gelernt aus dem automatischen Kompensationsverhalten bewusst auszusteigen und sich stattdessen wieder auf die Eigenverantwortung und somit auf die eigene Präsenz, Achse und Körperspannung zu konzentrieren. Das bedeutet, sie gleichen schneller und öfter Fehlhaltungen aus, was sich sofort positiv auf das gemeinsame Tanzen auswirkt.
Wie gehe ich nun mit Blinden Flecken um, wenn ich sie nicht erkenne?
Alle Tipps gelten für Follower und Leader gleichwertig
- Raus aus der Schuldzuweisung und rein in die Eigenverantwortung
Jeder hat die Chance etwas zu verändern, wenn es nicht gleich gelingt, dann beim nächsten Schritt. Wir haben jeden Moment eine neue Chance.
Es gibt einen Auslöser und eine automatische Reaktion, somit sind beide dafür gleich verantwortlich aus dieser Situation auszusteigen.
Es gelingt nicht immer in die Achse zu gehen und das ist ok. Je mehr beide es mit Humor nehmen, desto besser.
- Wenn etwas im Tango schief läuft, immer zuerst zurück in die eigene Präsenz/Achse.
Zuerst zurück zu deinem eigenen Aufbau von Achse und Körperhaltung (dies wird ein eigener Blogbeitrag an dem ich gerade arbeite)- Möglich, dass das Gegenüber gezogen oder gezerrt hat, aber es ist nicht entscheidend, was gerade passiert ist, da es nur eine Folgeerscheinung ist. Der Auslöser war davor in einem nicht bewussten Moment. Dieser Moment war für beide nicht bewusst. Wenn zumindest eine Person in der Präsenz/Achse gewesen wäre, würden wir gar nicht an diesem Punkt angelangt sein.
- Raus aus Feststellungen (Glaubenssätze, die den Eindruck erwecken man kann den Zustand nicht ändern) und stattdessen aktiv in Fragestellungen wechseln
Fragen wie:
Wie stehe ich? Bin ich über der Achse? Wo ist mein Schwerpunkt? Ist das Steißbein vorne? Habe ich eine Plankhaltung? (Diese brauchen wir, damit wir Hebel einsetzen und eine optimale Verbindung mit dem Gegenüber aufbauen können.- Die Plankhaltung wird im kommenden Blogbeitrag Achse und Körperhaltung genauer erklärt)
Bin ich hier (in der Präsenz) mit dem Gegenüber oder bin ich gedanklich abgeschweift? Welche Glaubenssätze sind da? Welche Gefühle? (Bewertung, Widerstand und Abwehr haben immer eine negative Auswirkung auf den gemeinsamen Tanz)
Wenn man zu einem Advanced Level kommen will, muss man sich mit diesem Thema intensiv auseinandersetzen. Das braucht einen großen Wissensstand, Erfahrungsschatz und somit viel Zeit und Geduld.
Blinde Flecken wird es immer geben, kaum einen aufgelöst wartet der nächste darauf entdeckt zu werden. Je neugieriger und offener wir durch die Welt gehen, je mehr wir in der Gegenwart und in Fragestellungen bleiben, statt in Feststellungen (Glaubenssätzen) hängenbleiben, desto mehr können wir von unseren Blinden Flecken entdecken und durch sie lernen.
Um mich selbst, das Gegenüber und den Tango besser zu verstehen, setze ich mich intensiv mit Achse, Hebel, Körperspannung, Glaubenssätzen und dem Bewertungssystem auseinander sowie mit der Fähigkeit des Gehirns und des Körpers zu lernen.
Ich habe erkannt, dass ohne bewusstes Wissen und Umsetzungsfähigkeit der eigenen und gemeinsamen Achse, des Verständnisses von Hebel und Verbindung kein Advanced Level im Tango tanzen möglich ist (Wenn du dich fragst warum du Advanced Figuren nicht optimal führen/folgen kannst, hat das immer mit diesem Thema zu tun). Das ist auch mit einer der Gründe, warum ich mich gerade auf diese Thematik spezialisiert habe und diesbezüglich Intensivworkshops anbiete.
Optimales Führen/Folgen erkennst du an der Stimmigkeit. Es müssen sich beide damit wohl fühlen, mit wenig Kraftaufwand und mit großer Wirkung: Das ist das Geheimrezept.
*Das Johari–Fenster ist ein Fenster bewusster und unbewusster Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale zwischen einem Selbst und anderen oder einer Gruppe. Entwickelt wurde es 1955 von den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham. Die Vornamen dieser beiden wurden für die Namensgebung herangezogen.
Quelle: Wikipedia
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Introduction
When I started with the Tango Argentino, I also enjoyed the fun of being able to delve deeply into the present moment and the opportunity to develop in your own consciousness, both as a dance and as a person. I saw the tango as a mirror of myself and as a mirror of my dance partner.
I see myself as ambitious, when I decide on something, I want to experience and explore it in all facets. My ambition caught fire in tango. I wanted to understand and understand the tango and I wanted to develop my consciousness through it. I danced every day, practiced on every occasion, dealt with brain research, physical laws and everything that can have anything to do with the tango. The tango became my purpose in life.
The tango immediately shows me where you are aware of yourself and where you are not and it shows me how easily you can be tempted to transfer responsibility to your partner. He shows me the blind spots of my dance partners and he gives me the wonderful gift to discover my own blind spots.
Blind spots in the tango
The term blind spot is used in social psychology and describes the parts of the self or self that are not perceived by a personality. The blind spot is often graphically displayed in the Johari window *, which shows the conscious and unconscious personality and behavioral characteristics of a person to a self and their relationship to another person or group.
These are my findings so far after years of self-research in this area:
I like to use the term „blind spots“ in the Tango Argentino to describe elements of incorrect posture in the body axis, tension, in the lever and their implementation as well as unconscious inner beliefs and feelings that negatively influence the common Tango and their causes cannot be recognized.
I have always had great inner resistance to attend engineering courses. Dancing something for someone without understanding what it’s supposed to be good for, and not being able to implement it as it should be on the one hand, bothered me a lot. In addition, it was also not possible for me to implement what was initially practiced alone with a dance partner. I was constantly fixated on the choreography and was therefore not able to do it with the correct posture. This is exactly what motivated me to find a way to do it more effectively – and to pass on this self-developed knowledge is also my goal in my workshops and individual coaching.
Axis and posture are important
The incorrect posture of at least one person in Tango Argentino has an immediate negative impact on the dance if the dance partner involuntarily reacts to it. We adapt to our dance partners and react compensatory instead of staying in our own axis / presence and body tension or getting back there immediately. If the dance partner does not stay on his own axis / presence due to a wrong posture and thus misdirection / wrong results or does not immediately try to get back there, he / she also reacts with a compensation behavior, which in turn also affects the other party replies again compensation behavior. A negative cycle starts and the evaluation system starts. So both judge each other (secretly or openly) as bad dancers or who is so good and I am so bad.
If both people handle it unconsciously, they will notice that the dance element is incorrect, but they are still not able to get out of the compensation reaction. Since the co-causation is often not perceived consciously by yourself, you usually blame the other person for it (both see the other person as the cause). The blaming of the other person does not apply if a person considers himself to be of less value than the other person (you classify yourself as worse in your dancing skills than the other person). In this case, the person even takes responsibility (apologizes, becomes insecure, reacts too quickly or too late, pulls the shoulders up, the body becomes too soft or tense too much), but without knowing what is really wrong. Your own bad posture / wrong reaction, the blind spot, is not recognized and therefore not resolved.
However, if you are already aware of the cause, there is no blaming and you concentrate on yourself. It does not matter who caused it. We ourselves can change it at any time if we make a conscious decision and know how to do it.
The incorrect posture of a person affects both axes immediately and a harmonious dance movement / correct guiding or following can no longer be carried out by adapting to the other person until at least one of the two people involved consciously gets out of the compensation behavior.
Basically, this phenomenon actually happens several times during a dance with both dance partners, regardless of what the respective dance level is. The difference between beginners / intermediate dancers and advanced dancers is only that the more intensively you deal with this topic, the more often you can consciously react to it with absolute presence. First, you make sure in advance that your own axis remains, no matter what (we protect our axis by using body tension and posture). Second, you correct yourself instead of giving responsibility to the other person. (if we hand over responsibility to our counterpart, then we adapt, even though it is not right for us – we compensate or we try to correct the other person or „help“ them). Thirdly, this ritual (back in one’s own axis and body tension) has been practiced and repeated so often that it not only becomes an arbitrary action, but the body has already automated it and thus involuntarily plays these rituals.
Conclusion:
Experienced dancers have learned to consciously get out of the automatic compensation behavior and instead concentrate on their own responsibility and thus on their own presence, axis and body tension. This means that they compensate for incorrect postures faster and more often, which immediately has a positive effect on dancing together.
How do I go with blind spots now if I don’t recognize them?
All tips apply equally to followers and leaders
- Get out of blame and take responsibility
Everyone has the chance to change something, if it doesn’t work right away, then at the next step. We have a new opportunity every moment.
There is a trigger and an automatic reaction, so both are responsible for getting out of this situation.
It is not always possible to go in the axis and that is ok. The more they both take it with humor, the better.
- If something goes wrong in the tango, always back into your own presence / axis first.
First back to your own build up of axis and posture (this will be my own blog post I’m working on) – Possibly the other person was pulling or tugging, but it doesn’t matter what just happened because it’s just a sequel , The trigger was before that in an unconscious moment. This moment was not known to either of them. If at least one person had been in the presence / axis, we would not have reached this point at all.
Get out of statements (beliefs that give the impression you can’t change the state) and instead actively switch to questions.
Questions like:
How do I stand? Am I over the axis? Where is my focus Is the tailbone in front? Do I have a plank posture? (We need this so that we can use levers and establish an optimal connection with the other person – the posture will be explained in more detail in the upcoming blog post Axis and Posture)
Am I here (in the presence) with the other person or am I wandering mentally? What beliefs are there? What feelings? (Evaluation, resistance and defense always have a negative impact on the common dance)If you want to get to an advanced level, you have to deal intensively with this topic. This requires a high level of knowledge, a wealth of experience and therefore a lot of time and patience.
There will always be blind spots, hardly anyone resolved will find the next one to be discovered. The more curious and open we go through the world, the more we stay in the present and in questions, instead of getting stuck in statements (beliefs), the more we can discover spots from our blind people and learn through them.In order to better understand myself, the other person and the tango, I deal intensively with axis, leverage, body tension, beliefs and the rating system as well as with the ability of the brain and the body to learn.
I have realized that without conscious knowledge and ability to implement your own and common axis, the understanding of leverage and connection, no advanced level in tango is possible (if you ask yourself why you cannot lead / follow advanced figures optimally, this is always with you to do this topic). That is also one of the reasons why I have just specialized in this topic and offer intensive workshops in this regard.
You can recognize optimal leadership / following by their coherence. Both have to feel comfortable with it, with little effort and with great effect: That is the secret recipe.
* The Johari window is a window of conscious and unconscious personality and behavioral traits between one self and another or a group. It was developed in 1955 by the American social psychologists Joseph Luft and Harry Ingham. The first names of these two were used for the naming.
Source: Wikipedia